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„Die räumliche Umgebung wirkt wie ein Medikament“

Nicht nur der Blick in die Natur, sondern auch Licht, Akustik, Farbgestaltung etc. können auf Patienten im Krankenhaus gesundheitsfördernd wirken. Innenarchitekt Prof. Rudolf Schricker von der Hochschule Coburg erklärt im Interview das Konzept des „Healing Environment“.

Herr Prof. Schricker,  bitte definieren Sie zunächst für uns den Begriff „Healing Environment“!

Der Begriff „Gesundheitsfördernde Innenarchitektur“ ist ein Interpretationsversuch. Die „gesunde räumliche Umgebung“ ist eine etwas banalere Umschreibung. Die Wechselwirkung zwischen Mensch und Raum sowie Mensch und Produkt beeinflusst Menschen physisch, psychisch und sozial. Im Idealfall werden Gesundungs- und Heilungsprozesse unterstützt. Der Raum und seine Einrichtung als therapeutische Begleitmaßnahmen definieren eine interessante Vorstellung von sinnvoller und heilsamer Raumgestaltung.

Mit dem Begriff „Universal Interior“ gesellen sich Mehrzweck, Vielseitigkeit und individuelle Anwendung dazu. Im Gegensatz zu „Universal Design“, das Produkte, Geräte, Umgebungen und Systeme derart gestaltet, dass sie für so viele Menschen wie möglich ohne weitere Anpassung oder Spezialisierung nutzbar sind, geht „Universal Interior“ einen Schritt weiter und versucht durch die Möglichkeiten des digitalen Equipments individuelle Steuerungen und Veränderungen in räumlicher Wirkung vorzunehmen. Dazu gehören zum Beispiel Farbveränderungen mit Licht, Hörqualitätsveränderungen durch Lautstärkeregelungen, Temperaturveränderungen, Luftqualitätseinstellungen usw. Jeder kann demnach die Parameter der Wohlfühlfaktoren selber regulieren und steuern.

Wesentlich ist, dass wir unter heilsamer Umgebung und Einrichtung nicht länger statisch unveränderliche, sondern vielmehr in Zukunft dynamische und „lebendige“ Wechselwirkungen verstehen.

Welche Umgebungsfaktoren haben sich im Krankenhaus als besonders gesundheitsfördernd herausgestellt?

Naturbezug und Natürlichkeit scheinen allgemein positiv zu wirken. Wen wundert es? Patienten mit Blick in die Natur werden meist schneller gesund als Menschen, die die Monotonie von öden Betonwüsten ertragen müssen. Natur kann kranken Menschen helfen.

Gesundes Licht ist nicht länger Fiktion. Verschiedene Farbspektren im Sonnenlicht lösen bestimmte Hormonmixturen im menschlichen Organismus aus. Synchronität des Sonnenlichts, also des Lebensspenders schlechthin, und der individuellen biologischen Uhr entspannen offensichtlich und vermitteln Gewissheit und Zuversicht.

Snoezelen-Räume haben bereits vor Jahren durch ihre entspannende Wirkung überzeugt. Biodynamisches Licht lässt mittlerweile in jedem Raum quasi die Sonne auf- und wieder untergehen und spart so einen ziemlichen Medikamentenaufwand, weil Menschen „natürlich“ aktiviert oder müde werden.

(…) Jedes Display, mit dem sich Licht, Farbe, Akustik, Temperatur und weiteres verändern und anpassen lässt, ist ein „Spielzeug“. Mit diesem lässt sich individuell entscheiden, welche Atmosphäre man jeweils für welche Tätigkeit und welche Situation braucht. Jeder Mensch wird damit zum „Regisseur“ der räumlichen Wirkung, in der er sich befindet. Der umgebende Raum ist sozusagen eine medizinisch wirksame dritte Haut.

Was sind die größten Störfaktoren in Sachen gesunde räumliche Umgebung?

Lärm und unkontrollierte Schallereignisse rauben den Schlaf und verhindern erholsame Ruhe. Alles, was Stress verursacht, behindert Heilung. Auch Monotonie und Langeweile, zumal fremdbestimmt, stimmen eher depressiv. Einsamkeit und das Gefühl des Ausgeliefertseins bilden selten eine gute Grundlage zu mehr Selbstbewusstsein, und dies wäre zur Genesung so wichtig.

Das Thema „Sicherheit“ wird selten erörtert, ist aber ein nicht zu vernachlässigender Aspekt. Für einen ruhigen Schlaf sorgt unter anderem ein Gefühl von Sicherheit, zum Beispiel durch Rauchmelder, durch Alarmanlagen und durch jede Art von Sensorik und Kontrolle, die notfalls rechtzeitige Warnsignale auslösen würde. Wer sich in sicherer Obhut des Raumes weiß, ihm vertraut und angstfrei darin lebt, schläft besser und bleibt länger gesund. „Angstfreies Design und Gestaltung für ein sicheres Lebensgefühl“ ist an den Hochschulen gerade ein wichtiges Thema.

Was ist noch wichtig?

Auch die scheinbare Kluft zwischen höherwertiger Raumatmosphäre und steigendem Hygieneanspruch muss überwunden werden. Mehrwert wird häufig erzielt durch wertige Materialien und teure Technologien. Meist reduziert sich die Einschätzung „wertvoll“ auf optische und visuelle Beurteilung.

In Zukunft wird jedoch der Begriff „Wertschöpfung“ mehr und vor allem vor dem Zielansatz „Gesunderhaltung“ neu definiert werden nach dem Motto: Welches Designkonzept ist für mich gesund? Welches Material ist „krankheitsverhindernd“? Was ist designte Hygiene? Welche Materialien wirken antibakteriell? Welche Oberflächen sind gut sauber zu halten?

Die Erfahrung zeigt, dass mehr Hygiene im Sinne von „durch Einsatz von Chemie jedes Leben zu zerstören“ nicht immer gesund ist. Diese Kluft zu überwinden, ist Aufgabe jeden Designers, indem er ein Hygienekonzept entwickelt passend zum Werte- und individuellen Gestaltungskonzept.

Interview: Alexandra Höß

Mehr zum Thema lesen Sie in rhw praxis 4/2017 „Krankenhaus und Reha“.

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